Ein Gespräch zur Konzeption der multimedialen eXplorarium-Lernwerkstatt

Anlässlich der feierlichen Eröffnung der Lernwerkstatt am 12. Mai 2011 führte Dr. Petra Metz ein ausführliches Gespräch mit den Menschen, die dieses Projekt maßgeblich vorangebracht haben: Dr. Karin Ernst und Miriam Asmus von LIFE e.V. und Carsten Paeprer und Susanne Raußert von der Schulleitung der Hans-Fallada-Schule.

Petra Metz:

Lernwerkstätten nisten sich meist in vorhandenen Räumen ein, denn sie entstehen als Reformidee. Viel Platz ist erwünscht, um unterschiedliche Lernecken zu realisieren und Arbeitsmaterialien unterzubringen, aber leider selten zu finden. Wenn man jetzt den neuen Raum betritt, fällt einem sofort die Größe auf. Wie kam es dazu, dass so ein großzügiger Raum entstehen konnte?

Carsten Paeprer:

Die erste Idee für den Bau der Lernwerkstatt war es, den zentralen Innenhof zu überdachen. Das ist ein tolles Areal und sehr zentral, denn wir wollten einen Ort im Zentrum der Schule finden. Auf diese Weise sind wir auf die Größe von 200 Quadratmetern gekommen und das war unser Glück. Die Idee konnte zwar nicht realisiert werden, damit war aber die Größe gesetzt und die wurde dann einfach nach außen verlagert in den neu entstehenden Anbau, der sich direkt zum Sandspielplatz und dem neu gestalteten Aktiven Schulhof hin öffnet. Innen- und Außenbereich bilden dadurch eine vielfältig nutzbare Lernumgebung.

 

Petra Metz:

An vielen Schulen, auch in Berlin, gibt es seit Längerem Lernwerkstätten. Soweit ich weiß, können die Lernwerkstätten inzwischen in Deutschland auf eine dreißigjährige Geschichte zurückblicken, und zwar nicht nur an Schulen, sondern oft an Hochschulen oder in der Fortbildung. Was ist das Besondere an dieser neuen Initiative? Was unterscheidet sie konzeptionell von ihren Vorgängern?

Karin Ernst:

Ich habe nicht nur 1981 die erste deutsche Lernwerkstatt gegründet, sondern kenne auch viele andere. Diese Lernwerkstatt hier hat zwei Besonderheiten: Sie stellt den veränderten Unterricht in den Mittelpunkt und sie ermöglicht eine intensive Verbindung von Entdeckendem Lernen und Nutzung digitaler Medien. Die meisten der in den letzten Jahren gegründeten Lernwerkstätten an Schulen kommen aus dem Freizeitbereich, machen dort interessante Angebote und versuchen dadurch auf den Unterricht zurückzuwirken. Hier ist es umgekehrt.

Und projektintern gibt es noch eine zweite „Umkehrung“: Mit dem eXplorarium haben wir an dieser und anderen Schulen interessante neue Unterrichtsideen realisiert. Aber dabei standen die digitalen Medien im Mittelpunkt, danach kam erst das Entdeckende Lernen. Nun werden die Schwerpunkte verändert: zuerst kommt das Entdeckende Lernen, und dafür ist dann die Nutzung von Notebooks, Whiteboard und Lernplattform selbstverständlich. Außerdem wollen wir natürlich den Unterricht mit den weniger unterrichtlichen Aktivitäten im Ganztag verknüpfen, auf den Unterricht ausstrahlen, der nicht in der Lernwerkstatt stattfindet, und allmählich zu einem interessanten pädagogischen Treffpunkt „im Quartier“ werden.

Carsten Paeprer:

Zu den Besonderheiten des Projekts kommt meiner Ansicht nach auch der Start in der Kooperation zwischen LIFE e.V. und der Schule. Dass es von vornherein ein gemeinsames Projekt ist, das ist ja auch etwas Besonderes. Durch diese Synergien lässt sich das Kollegium leicht motivieren. Schon bei den früheren Moodle-Kursen haben wir die positive Erfahrung gemacht, wenn ein externer Partner durch die eXplorariums-Dozentin im Unterricht präsent ist, werden gegenseitige Verbindlichkeiten geschaffen, die die Arbeit schneller und effektiver voranbringen, als wenn wir das allein aus uns heraus stemmen müssen.

Miriam Asmus:

Man spürt die Dynamik, man merkt, dass das Projekt langsam im Kollegium ankommt. Mir ist das in dem Workshop aufgefallen, den wir Anfang des Jahres mit einem Teil des Kollegiums durchgeführt haben. Die Lehrkräfte merken, wir kriegen etwas ganz Besonderes, der Raum wächst, da entsteht etwas Neues, eine Möglichkeit, nicht improvisiert, sondern in einem konkreten Raum entdeckend mit Medien zu lernen.

Susanne Raußert:

Durch die Lernwerkstatt wird möglich, dass man länger am Stück arbeiten kann. Ich habe mehr als bisher die Möglichkeit, fächerübergreifend in einem Kurs etwas zu erarbeiten. Wir müssen jetzt nicht in einer Stunde etwas anfangen und es dann in die Ecke schieben, was wir dann erst nächste Woche wieder rausholen, sondern können dranbleiben. Das macht ganz viel aus, dass man Gedanken, die man im Kopf hat, als Schüler/in, nun weiterverfolgen kann, über mehrere Stunden oder Tage, und das in einem Raum, der dafür auch konzipiert ist. Das ist ein ganz anderes Arbeiten als in der Klasse.

Petra Metz:

Viele wissen wenig, was konkret in einer Lernwerkstatt passiert. Wie wird dort gearbeitet?

Miriam Asmus:

Aktuell starten wir mit Workshop-Wochen für Schüler/innen aus dem Förderzentrum und einer 4. Grundschulklasse. Sie werden jeweils zu einem allgemein gehaltenen Thema – „Brücken“ bzw. „Muster und Spiegelungen“ – arbeiten und dazu einige herausfordernde Aufgaben und Fragen in ihrem Moodle-Kurs vorfinden. Dabei ist es aber wichtig, dass sie ihren eigenen Zugang zum Thema finden, eigene Fragen stellen, mit vielen verschiedenen Materialien experimentieren, ihr Thema eventuell auch im Alltagsleben wiederfinden und selbst vermuten, nachdenken und Schlüsse ziehen. Was sie herausgefunden haben, werden sie dokumentieren und präsentieren.

Für die Zeit nach diesen „Anwärm-Wochen“ sind unterschiedliche Modelle in der Diskussion: Workshop-Wochen für eine Klasse nach der anderen, eventuell auch parallele Workshops von mehreren Klassen. Denkbar ist auch, dass eine Klasse immer an einem Tag in der Woche ihr Projekt in der Lernwerkstatt bearbeitet. Gerade bei Themen, bei denen Dinge langfristig zu beobachten sind, wie z.B. Wachstum, wäre das toll. Denn wenn ich nur eine einzelne Workshop-Woche zur Verfügung habe, dann schließt das schon bestimmte Fragen und Themen aus, für die man einen langen Zeitraum braucht. Möglich ist auch eine Lernwerkstatt-AG im Freizeitbereich, die regelmäßig 3-4 Stunden am Nachmittag dort arbeitet.

Besonders schön wäre es, wenn wir mit Kindern das klassische Entdeckende Lernen, ausgehend von der eigenen Frage, realisieren könnten, wie wir es in der Workshop-Woche mit den Lehrkräften getan haben. Das fände ich sehr spannend, das ist sehr offen und dazu braucht man dann auch die entsprechende Zeit.

Petra Metz:

Welche Rolle spielen denn dabei die Medien, die ja konzeptionell für die Lernwerkstatt zentral sind?

Karin Ernst:

Entdeckendes Lernen bedeutet im Wesentlichen, zu eigenen Fragen zu forschen, und da bieten sich der Gedankenaustausch, das Festhalten von Beobachtungen und die Dokumentation über Moodle an. Das nutzen die Kinder jetzt schon. Für die langfristige Lernbegleitung der Kinder durch verschiedene Erwachsene haben wir aber das Potential von Moodle noch nicht voll ausgeschöpft. Denn es ist möglich, zu jedem einzelnen Kind Notizen zu machen. Wenn die Lehrerin notiert, über welche interessante Frage ein Kind gerade nachdenkt und welchen Tipp sie ihm gegeben hat, kann die Horterzieherin das aufgreifen. Und umgekehrt. Wie bei unserem eXplorarium erleichtert der Einbezug der Medien das Lernen: Es wird alles gesammelt, kommentiert, dokumentiert und gleichzeitig ausgestellt.

Petra Metz:

Um diesen Raum richtig in seiner Vielfalt nutzen zu können, müssen die Lehrkräfte sicher noch fortgebildet werden. Was ändert sich im Schulalltag an der Rolle der Lehrenden? Was für Erfahrungen sind dafür wichtig?

Susanne Raußert:

Ansätze dazu haben wir alle im Studium gelernt. Ich habe jetzt eine Woche lang den Workshop bei Miriam Asmus, Karin Ernst und Ute Zocher besucht und fand die Auseinandersetzung mit der Rolle als Lehrende dabei ganz wichtig. Meine Rolle ist eine ganz andere als ich sie sonst in der Klasse habe. Es ist ein Unterschied, ob ich Lernberaterin bin und den Schüler oder die Schülerin begleite und auch mal Tipps gebe und dabei die Ruhe und die Zeit habe, ihn auch mal schräge Wege gehen zu lassen, als wenn ich im Unterricht, im schlimmsten Falle, Stück für Stück einfach meinen Stoff durchbringe.

Carsten Paeprer:

Wichtig dabei ist vor allem, auch selbst wieder in der Rolle des Lernenden zu sein. Ich persönlich greife dabei auf viele Erfahrungen zurück, die ich im Lauf der Zeit dabei gemacht habe, im Rahmen einer Lernwerkstatt workshopartig zusammenzuarbeiten. Dass nicht alles vorgegeben ist, dass ich selbst Fragen entwickeln und dann auch zu Antworten kommen muss, ist eine ungemein wichtige Erfahrung. Meine Rolle als Lernberater oder –begleiter finden kann ich nur, wenn ich mich selbst wieder mal in der Rolle des Schülers erlebt habe.

Susanne Raußert:

Und dass eigene Fragen von den Lernenden ganz wichtig sind, die man dann auch verfolgt, und dass sich daraus dann wieder neue Fragen entwickeln und manchmal auch ein neues Thema, das finde ich wichtig und völlig anders als traditioneller Unterricht.

Petra Metz:

Was bedeutet die Arbeit mit der Lernwerkstatt für die Schulentwicklung?

Carsten Paeprer:

Das ist ein Erfahrungsprozess für uns alle, wie sich die Arbeit in der Lernwerkstatt mit den herkömmlichen Schulstrukturen kombinieren lässt. Gerade für die Rhythmisierung des Schultages in ein strukturiertes Unterrichtsangebot und einen gebundenen Freizeitbereich ist ein Ort wie die Lernwerkstatt gut geeignet. Denn die Ausrichtung in Arbeit und Freizeit wird sich in der Arbeit neu entwickeln. Das Zweite, was ich mir eben dachte: Phantasie fällt ja nicht jedem zu, sondern das ist etwas, bei dem ich eine gewisse Erfahrung und Anleitung brauche, um sie entfalten zu können und das ist gerade bei unseren Schüler/innen im Förderzentrum ein Bereich, der viel Unterstützung braucht, um auch diese positiven Erfahrungen machen zu können.

Susanne Raußert:

Diese Schüler/innen haben oft verlernt, was ihnen Freude am Lernen macht, und häufig muss man da am Anfang mehr Hilfestellung leisten, gerade bei den größeren, die auch schon viele Misserfolge aufgrund ihrer Schullaufbahn hinter sich haben.

Die Lernwerkstatt bietet eine besondere Chance, um hier die Arbeit in Tandems etablieren zu können. Diejenigen, die schon Erfahrungen gemacht haben, können diejenigen begleiten, die zum ersten Mal hier arbeiten. Sie können sich für die Fragen der anderen interessieren und sich gegenseitig auf die Sprünge helfen.

Miriam Asmus:
Organisatorisch ist wichtig, dass unser Team von Lehrkräften aus der Schule und Kolleginnen von LIFE regelmäßig alles bespricht und plant. Das nächste Thema wird beispielsweise die Angebotsstruktur sein. In diesem Team werden wir immer wieder diskutieren, was gut gelaufen ist und welche Erfahrungen wir gemacht haben. Es ist wichtig, im Gespräch zu bleiben und Erfahrungen auszutauschen, nicht nur, nebeneinander her zu schwimmen.

Nach dem Workshop im Februar gab es eine große Begeisterung und diese Welle hat auch die anderen Kolleg/innen erreicht, so dass es jetzt ein intensives Interesse an einem nächsten Fortbildungsdurchgang gibt. Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass mehrere Lehrkräfte während einer Woche aus dem normalen Unterricht herausgenommen werden, um sich fortzubilden. Für die Schulentwicklung ist das eine wichtige Aussage: Die Lernwerkstatt sieht nicht nur toll aus und ist schön gebaut, sondern sie soll inhaltlich die Schule verändern. Das sind Signale, die ich toll finde und sie sind motivierend für die weitere Kooperation.

Petra Metz:

Ist es geplant, dass sich die Lernwerkstatt auch nach außen, also in den Stadtteil öffnet mit Netzwerk- und Stadtteilarbeit, oder mit anderen Schulen kooperiert?

Carsten Paeprer:

Wir würden uns sehr freuen, wenn das ganze zu einem Magneten über die Schule hinaus würde, denn wir möchten natürlich dazu beitragen, dass sich dieser Standort als Schulzentrum etabliert und der eine oder andere sagt, das ist so interessant, hier würde ich auch gerne herwechseln. Das ist ja in Neukölln nicht selbstverständlich und auch teilweise, so am Rand von Campus Rütli, schwierig, sich mit einem eigenen Profil weiterzuentwickeln. Und zum anderen bin ich auch gespannt, was sich im Rahmen von Fortbildungen entwickeln kann, wie viele Kapazitäten für all diese Bereiche da sind. Die Ideen sind sicherlich da, aber man muss auch gucken, wie sich das alles umsetzen lässt und wer es dann in die Hand nimmt, aber ich bin da ganz zuversichtlich.

Karin Ernst:
Es gibt konkrete Ideen aus dem Bereich des Sachunterrichts: wenn die Lernwerkstatt da ist, dann können wir dort etwas machen – nicht nur Regionalkonferenzen, sondern auch Fortbildungen. Auch wir von LIFE könnten in der Lernwerkstatt Angebote in der regionalen Fortbildung machen.

Miriam Asmus:

Aktuell ist es mir am wichtigsten, die Lernwerkstatt erst einmal hier in der Schule zu etablieren. Selbstverständlich soll sie auch nach außen in den Stadtteil strahlen. Darum kümmert sich unsere Kollegin Nina Sedlak-Cinar, die den Kontakt zu anderen Stadtteilinitiativen herstellt und Ideen für die Kooperation erarbeitet.

Susanne Raußert:

Wir haben viele Eltern, die nicht erwerbstätig sind, die aber vielleicht Interesse haben, hier etwas anzubieten oder mit ihren Kindern mitzumachen Vielleicht sind sie auch Fachmann oder Fachfrau für das eine oder andere. Z.B. kommen immer wieder Eltern, die in die existierende Schülerfirma Rezepte mitbringen und auch ausprobieren und gemeinsam kochen oder backen. Das kann in der Lernwerkstatt ähnlich passieren. Natürlich können wir die Eltern bitten, sich zu daran zu beteiligen.

Petra Metz:

Die Lernwerkstatt ist ein Ort des Experiments und der Kooperation. Was passiert in anderthalb Jahren, wenn das offizielle Projekt Ende 2012 ausläuft?

Carsten Paeper:

Also dazu kann ich jetzt schon sagen, denn das hat sich auch im Rahmen des eXplorariums gezeigt, dass es ein solches Projekt ohne Kooperation alleine schwer hat. Im Schulalltag mit permanenten Veränderungen und krankheitsbedingten Stundenausfällen ist es von zentraler Bedeutung, dass noch ein anderer Partner dabei ist, der in gewisser Weise für Konstanz sorgt. Das ergibt eine gegenseitige Verpflichtung und die ermöglicht ein kontinuierliches Arbeiten. Damit sich das weiter trägt, werden wir jetzt schon daran arbeiten müssen, dass die Zusammenarbeit über 2012 hinaus auf neue Weise fortgesetzt werden kann.

Susanne Raußert:
Karin Ernst und Miriam Asmus haben auf diesem Gebiet auch ein ganz anderes Knowhow; als Lehrkräfte haben wir das nicht alle. Ich finde es daher ganz beruhigend zu wissen, dass da noch Expertinnen sind, zu denen wir mit Fragen hingehen können. Schon organisatorisch ist es für die Schule schwer zu schaffen, alles zu inventarisieren und außerdem die inhaltliche Arbeit zu organisieren. Eigentlich müssten wir eine Person bekommen, die fest für die Lernwerkstatt angestellt wird und dann für Beratung, Planung, Organisation, Kontakte, usw. zuständig ist.

Miriam Asmus:

Die Lernwerkstatt ist ein kein schönerer Sachunterrichts-Raum, aus dem sich alle Material holen können, sondern ein Ort, an das Konzept modernen Unterrichts in besonderem Maße hochgehalten wird. Ich glaube, es ist wichtig, dass es innerhalb der Schule eine Gruppe gibt, die sich damit auseinandersetzt, aber auch, dass es außerhalb eine Instanz gibt, die mitdenkt und dabei von den alltäglichen Verwicklungen der Schule unabhängig ist. Es wäre gut, das langfristig zu etablieren.