Es gibt bei Kinder machen Kurzfilm! immer ein Jahresthema, um die Kinder thematisch auf eine Spur zu schicken. Was war das Thema 2010?

Das letzte Jahresthema war „Natur und Umwelt“, das ja erst mal sehr breit und umfassend ist. Um es etwas einzugrenzen, sind wir auf „Das Jahr der Artenvielfalt“ gekommen. Und dazu haben die Kinder auch tatsächlich sehr viel geschrieben, allerdings relativ wenig über Artenvielfalt, sondern mehr über das Phänomen der Mülltrennung. So entstanden viele Geschichten zum Thema Müll und zum Beispiel den dreckigen Schulhof, der sauber gemacht wird. Das fand ich ganz interessant, denn es hat gezeigt, dass die Kinder eher aus ihren Lebenswelten heraus berichten und da am ehesten dann auch einen Zugang finden, um eigene Geschichten zu schreiben. Das ist toll und letztlich auch das, was wir mit dem Projekt wollen, denn es geht ja nicht darum, eine abstrakte Abhandlung über ein Thema abzuliefern, sondern um die Frage: Was hat das Thema mit mir zu tun? Und so kamen diesmal eben relativ viele Müllgeschichten heraus. Bei der Jurysitzung nach dem Schreibwettbewerb fiel die Entscheidung für eine Geschichte, die neben dem Thema Müll und Umwelt pointiert eine Figur gefunden hat, die untypisch ist, Todo, eine Tomatendose, die gar nicht als „Müll“ daherkommt, sondern die Frage stellt: Was kann man mit mir noch machen? Diese Geschichte wurde später als Basis für den Drehbuch- und den Produktionsworkshop genutzt, der in den Herbstferien stattfand, und ich denke, dass ein ganz schönes Ergebnis dabei herausgekommen ist.

Wie hat sich die Beteiligung des eXplorariums ausgewirkt? Hat es die Kinder zum Schreiben motiviert?

Absolut! Wenn man jetzt die Beteiligung im Vorjahr 2009 anguckt, da hatten wir zwischen 50 und 60 eingereichten Geschichten. 2010 waren es 116 Geschichten, so viele wie noch nie. Und das hat ganz sicher etwas mit dem eXplorarium zu tun. Die Arbeit am Computer ist auf jeden Fall ein Anreiz für die Kinder. Dann sind auch die Strukturen im Kurs anders, in dem die Ausgangsfragen, wie schreibe ich eine Geschichte, wie gehe ich vor, einfacher waren. Und nicht zuletzt ist die Betreuung, die die Kinder innerhalb des Projekts eXplorariums erfahren haben, eine Motivationshilfe, an den Geschichten dran zu bleiben und etwas daraus zu machen. Ich glaube, das alles hat dazu beigetragen, dass wir sehr viele und sehr viele interessante und spannende Geschichten zu lesen bekamen.

Die eXplorariums-Schulen haben alle mit dem vorbereiteten Kurs gearbeitet und dadurch, dass ich einen Zugang hatte, konnte ich das auch mitverfolgen. 90-95% der Kinder von den eXplorariums-Klassen haben eine Geschichte abgegeben und waren insgesamt sehr engagiert. Das war spürbar durch die Menge an Mitteilungen, die mir die Kinder geschrieben haben, wenn sie nicht weiterkamen und Fragen hatten, was sie jetzt schreiben sollten. Diese Art der Kommunikation und der Beteiligung am Schreibprozess fand ich toll. Schön war auch das Feedback der Lehrerinnen, die gerade zum ersten Mal mit dem eXplorarium gearbeitet haben. Sie bestätigten ebenfalls, dass sich die Motivation zu schreiben erhöht hat. Also auch Kinder, die ansonsten Schwierigkeiten haben, Geschichten zu schreiben, haben einen anderen Zugang gefunden und ein anderes Erfolgserlebnis als im normalen Schulalltag erfahren.

Wie sah die konkrete Zusammenarbeit mit den Schulklassen aus? Wie oft habt ihr die Schulen besucht?

In der Phase des Schreibwettbewerbs waren wir zwei Mal in den Klassen, d.h. wir kommen ein erstes Mal und machen eine Einführung ins Thema. Dabei erarbeiten wir, wie man filmische Geschichten schreibt, also wo die Unterschiede liegen von filmischen Geschichten und solchen, die im Lesebuch stehen. In der Regel wurden wir dabei auch von Dozentinnen des eXplorariums begleitet und haben auch den Film des Vorjahres geguckt. Bei dem zweiten Termin hatten wir durch die Plattform schon mal die Gelegenheit, uns die Entwürfe der Geschichten schon vorher anzusehen und dann gezielt Tipps geben zu können, sowohl online als auch direkt vor Ort im Klassenzimmer, wo wir bestimmte Punkte exemplarisch mit der ganzen Klasse besprochen haben. Das ist schon, wie ich finde, eine tolle Ergänzung und hat gut funktioniert. Es war dann sehr schön, dass wir das im Drehbuchworkshop weiterführen konnten und dort mit allen Beteiligten mit der Lernplattform gearbeitet haben. Dabei haben sich dann auch die Kinder, die bislang an ihren Schulen noch nicht damit gearbeitet haben, in einer unglaublichen Geschwindigkeit eingebracht.

Damit wurde also nicht nur die Dokumentation erleichtert, sondern die Arbeit mit dem eXplorarium hatte dann scheinbar auch Konsequenzen für den Schreibprozess selbst?

Auf jeden Fall merkt man, wenn Kinder sich mit dem Computer etwas auskennen, dass es ihnen viel leichter fällt, mit dem Schreiben zu beginnen. Vielleicht ist die Hemmschwelle nicht so hoch, als säße man nun da mit dem Füller vor dem weißen Blatt und schriebe jetzt mühsam etwas auf. Andererseits haben wir im Drehbuchworkshop das Schreiben am PC immer wieder ergänzt mit Phasen der Gruppenarbeit, so haben wir z.B. ausprobiert, auch Ideen auf der Pinnwand zu sammeln. Ich glaube, es ist eine super Ergänzung und die Kinder gehen eher ans Schreiben heran, als wenn sie ein Blatt Papier vor sich haben. Das war zumindest jetzt im letzten Jahr meine Erfahrung.

Ein wesentlicher Aspekt bei eurem Ansatz ist die schulübergreifende Zusammenarbeit. Wie haben die Kinder im letzten Jahr zusammen gearbeitet?

In diesem Jahr gab es erstmals auch ernsthafte Konflikte, d.h. die Kinder haben ihre Unterschiedlichkeit wahrgenommen, in dem Sinne dass Kinder aus einem behüteten und politisch korrekten Elternhaus, die sehr geborgen waren, auf Kinder gestoßen sind, die einen ganz anderen kulturellen Hintergrund hatten. Sie hatten viel mehr Geschwister, waren schon mit 10 Jahren gezwungen, relativ selbstständig zu sein und alles allein zu machen. Beide treffen dann im Workshop aufeinander und haben eventuell eine ganz andere Kommunikationsebene und einen anderen Wortschatz, mit dem sie sich austauschen. Und so gab es schon Momente, in denen es Tränen gab. Aber durch den hohen Betreuungsschlüssel konnten wir darauf eingehen und konstruktive Lösungen für alle finden. So haben wir es dann immer wieder geschafft, wenn die Kinder zusammen im Aufenthaltsraum saßen und z.B. miteinander gemalt haben, dass sie darüber wieder miteinander ins Gespräch gekommen sind. Man merkte, da kehrte auf einmal so etwas wie Frieden ein und danach war es auch geklärt. Und das sind für mich bei diesem Projekt auch Ergebnisse, die einen ganz wesentlichen Punkt darstellen. Es ist nicht per se so, dass man es erreicht, innerhalb einer Woche ein über die Kulturen hinausgehendes Verständnis zu erzielen, aber man kann einen Anfang machen. Möglicherweise stellt das eine Art Startschuss dar, wenn die Kinder in drei oder vier Jahren in anderen Zusammenhängen aufeinander treffen und dann nicht gleich auf Kriegsfuß miteinander zu stehen, sondern vielleicht noch von diesen Erfahrungen zu profitieren.

Wie geht es nun in diesem Jahr weiter? Gibt es neue Entwicklungen?

Genau dieser Punkt der Integration hat uns darauf gebracht, diesen Aspekt zu vertiefen, um noch mehr Kinder einzubeziehen. Wie kann man es schaffen, dass Kinder nicht nur an einem neutralen Ort zusammenkommen und -arbeiten, sondern sie sich auch gegenseitig besuchen. Dabei sind wir auf die Idee gekommen, einen Dokuworkshop einzuführen, der ähnlich funktioniert wie die anderen beiden Workshops. Dazu können sich die Kinder aus den beteiligten Grundschulen anmelden und wir losen dann die Plätze für 20-25 Kinder aus allen Schulen aus. Sie lernen, wie sie mit der Kamera umgehen und wie sie Reportagen schreiben und Interviews führen. Und dann gehen sie während des ganzen Projekts mit, jeweils begleitend in kleinen Gruppen, in die Schulen, zum Drehbuchworkshop, in die Produktion und in die Postproduktion. Damit entsteht nach und nach eine Art Reportageserie über das Projekt, die die Kinder selbst erarbeiten. Der Workshop würde dann nach dem Schreibwettbewerb stattfinden, d.h. die Dokumentationsarbeit der Kinder beginnt mit dem Drehbuchworkshop, zu dem eine oder zwei kleine Gruppen hinkommen und ihn dokumentieren. Im Anschluss daran finden nochmal Schulbesuche statt und damit kann man etablieren, dass beispielsweise eine Dreiergruppe aus Neukölln die Klasse aus Lichtenberg besucht und ein bisschen über das Leben an der Schule und über die Klasse berichtet. Wie sich das inhaltlich gestalten soll, müssen wir noch im Detail entwickeln. Das wird die große Neuerung sein, und ich bin gespannt, ob sie finanzierbar ist. Ein zweiter Punkt ist der Wunsch, am Ende ein Online-Geschichtenbuch mit allen Geschichten entstehen zu lassen, mit dem wir den Schreibwettbewerb auch noch etwas aufwerten würden. Indem alle Geschichten, die dieses Jahr eingesandt wurden, in irgendeiner Form zusammenkommen, hätte man die Möglichkeit, nicht nur innerhalb der Schule, so wie es jetzt schon passiert, von Klasse zu Klasse ein gestaltetes Buch weiterzureichen, sondern auch hierbei schulübergreifend zu arbeiten. Das wäre zudem ebenso ein Integrationsaspekt, der es ermöglicht, noch mehr Kinder einzubeziehen.